(c) Wolfgang-D. Schröer (2002-2013)
Stand: 26.5.2017
Der »Kleine Schwabenland«
Analyse eines Vorserien-Empfängers
der deutschen Wehrmacht
Im Jahre 2010 berichtete mir Günter Hütter - der wohl bestausge-
rüstete Sammler militärischer Funkgeräte - in einem Telefonge-
spräch von einem in seiner umfangreichen Sammlung befindlichen
ungewöhnlichen Kurzwellen-Empfänger. Das Gerät besäße kein
Typenschild, sehe irgendwie unfertig aus. Er verfüge über keiner-
lei Unterlagen dazu. Im Standardwerk von Fritz Trenkle gebe es
zwar eine Abbildung, die sei allerdings von seinem Gerät angefer-
tigt worden. Und er fügte hinzu, weder ihm sei ein zweites Gerät
dieser Art je vor Augen gekommen, noch kenne er einen Sammler,
der ein solches besäße.
Schließlich fragte er, ob ich Lust hätte, das offenbar extrem seltene
Stück zu untersuchen, den Versuch zu machen herauszufinden,
was es zu bieten habe. Ich sah in dem Angebot eine spannende
Aufgabe, meine Neugier war angestachelt. Natürlich sagte ich zu!
Inzwischen nahm ich mir den Trenkle vor, war aber enttäuscht:
Außer einem unscheinbaren Bild, viel schlechter als das inzwi-
schen von Hütter geschickte, fand ich auf Seite 55 nur eine lapi-
dare Bildunterschrift:
"15-Röhren-KW-Empfänger (3.0-24.0 MHz) für Netzbetrieb.
Vermutlich Prototyp von Lorenz 1945, Typ nicht bekannt".
Interessant war immerhin, dass auf der gleichen Seite die Abbil-
dung eines Senders zu sehen war, der – was sein Äußeres anbetrifft
– unübersehbare Ähnlichkeit mit dem Hütter’schen Empfänger
aufweist. Beider Frontplatte unlackiert, offensichtlich grob ge-
schliffenes Aluminium, die des Empfängers nur zum Teil beschil-
dert, der Sender in dieser Hinsicht etwas vollständiger. Dazu
folgender Text:
"…Gegen Kriegsende wurden für das Heer noch zwei 100-W-KW-
Sender bei Lorenz bearbeitet. Der Sender ‚Posen I‘ für A1-, A2-,
A3- und F1- (FSK= frequency shift keying)- Betrieb und einen
Frequenzbereich 3.0-24.0 MHz verwendete für die Antennenab-
stimmung eine neue Schaltung für Kabelanpassung; die
Fertigung (bei einer Lizenzfirma Schneck/Wien) war gerade
angelaufen…"
Die Quellenlage war somit äußerst dürftig, Originalunterlagen
standen nicht zur Verfügung. Vermutlich ist der Umstand dafür
verantwortlich, dass derartige Entwicklungen scharfer Geheimhal-
tung unterworfen wurden.
Was anderes blieb also übrig, als mit meinem hinlänglich ausge-
rüsteten Messlabor dem 'Findelkind' zuleibe zu rücken und allen
Hinweisen auf den Entstehungszeitraum nachzugehen, u. a. mit
Hilfe der Sichtung der Bauteilbeschriftung. Die Hoffnung, die ge-
samte Schaltung des Empfängers 'rekonstruieren' zu können,
musste allerdings aufgegeben werden: Bei einem derart seltenen
Gerät verbietet sich die Zerlegung mit den damit unvermeidlich
verbundenen Beschädigungen von vorn herein.
Es kann als Glücksfall angesehen werden, dass nach eingehender
Betrachtung der Stufenfolge und anderer Einzelheiten (Quarzfilter)
erkennbar wurde, dass zumindest der gesamte HF- und ZF-Zug so
gut wie identisch mit dem des Großempfängers »Schwabenland«
war. Die übrigen Stufen waren auf den Abschirmblechen wenig-
stens zu einem Teil bezeichnet, so dass dadurch auf ihre Funktion
geschlossen werden konnte.
Nach der Entdeckung dieser verwandtschaftlich eindeutigen 'Her-
kunft' entschloss ich mich, dem Gerät den Namen
»Kleiner Schwabenland«
zu geben. Dabei bezieht sich der Präfix »Klein« keineswegs auf
seine Leistungsfähigkeit - sie ist dem 'Vorbild' in mancher Hinsicht
weit überlegen. Aber die Abmessungen des Gerätes sind wesent-
lich kompakter als die des großen »Schwabenland«, sein Volumen
beträgt trotz der 15 Röhren wenig mehr als ein Drittel!
Nun stand fest: Die besondere und in dieser Zeit einmalige Aus-
stattung eines Kurzwellengerätes mit Empfangsmöglichkeiten für
frequenzmodulierte Signale unterschiedlicher Art, für Hell- und
Bildempfang (Faksimile) und frequenzmodulierte Telefonie (F3E)
sowie für Telegrafie (F1A) und FM-Fernschreiben (F1B), dazu
auch für maschinelle Schnelltelegrafie, muss auf einen Entwick-
lungsauftrag seitens des HWA (Heeres-Waffenamt) an die Firma
Lorenz zurückgehen.
Manches sprach dafür, dass die Entwicklung dieses Spezialemp-
fängers dort bereits Anfang 1941 oder im Verlaufe des Jahres 1942
in Angriff genommen wurde, der »Schwabenland« (EO 8268)
stand zu diesem Zeitpunkt bereits kurz vor seiner Serienreife.
Offenbar war im HWA schon relativ früh im Verlaufe des Krieges
erkannt worden, dass einerseits für moderne Kommunikationstech-
niken Sende- und Empfangsanlagen nicht zur Verfügung standen,
auf der anderen Seite diese für sichere Übermittlung von Fern-
schreib- und Bildinformationen, einschließlich der Helltelegrafie,
von außerordentlichem militärischen Nutzen sein konnten.
Der Entwicklungsaufwand derart komplizierter Empfänger ist be-
trächtlich. Zwar konnte man bei dem hier vorliegenden Vorserien-
gerät - wie oben erwähnt - fast vollständig auf die Schaltungsaus-
legung des HF- und ZF-Zuges des EO 8268 zurückgreifen, ledig-
lich die für die genannten zusätzlichen Betriebsarten notwendigen
Elemente – vor allem ein Begrenzer mit nachgeschaltetem Diskri-
minator und ein Regelrohr für die automatische Scharfabstimmung
(AFC) – waren zu ergänzen. Der mechanische Aufbau musste
allerdings von Grund auf neu konzipiert werden, denn offenbar
war vom Auftraggeber ein leicht transportables Gerät gefordert
worden.
Nach meiner Untersuchung, die mehr als ein Jahr in Anspruch ge-
nommen hat, muss ich meiner Bewunderung und Hochachtung für
die Ingenieurleistung der Entwickler und Konstrukteure dieses
extrem kompakten und technisch ausgeklügelten Gerätes Ausdruck
verleihen. Die zukunftsweisende technische Qualität offenbart sich
dem, der Gelegenheit nimmt, diesbezügliche Details in Augen-
schein zu nehmen. Die vielen Bilder der Publikation sollen dies
dem Leser ermöglichen.
Die hier angebotene Publikation zeichnet detailliert meine Bemü-
hungen zur Aufklärung der mechanischen und elektronischen
Eigenschaften dieses möglicherweise einmaligen Gerätes nach.
Dazu wird zunächst eine sehr gründliche Untersuchung des Emp-
fänger-Aufbaus mit Bildern belegt. Beispiele sind oben zu sehen,
darin auch die Beschriftung, die dem Leser - zusammen mit aus-
führlichen Legenden - einen guten Eindruck vom Aufbau des
äußerst kompakten Gerätes vermitteln soll. Dabei mußte allerdings
das Prinzip gelten, keine Demontage von Baugruppen vorzuneh-
men, wenn dabei die Unversehrtheit des Gerätes nicht gesichert
blieb.
Aufgrund der gedrängten mechanischen Konstruktion war es des-
halb nicht möglich, einzelne Module von allen Seiten zu fotogra-
fieren, obwohl es den Anschein hatte, als seien sie mit der Front-
platte, die als gemeinsamer Träger dient, über Steckerleisten ver-
bunden. Daran hinderte die unübersichtliche Lage dieser Verbin-
dungen und die zu ihnen führenden Kabelbäume.
Trotz dieser Sachlage konnten alle großen Baugruppen hinrei-
chend dargestellt und ihre größeren Bauteile identifiziert werden.
Nachdem wichtige Voraussetzungen geprüft waren, konnte das
Gerät in Betrieb genommen und Messungen zugänglich gemacht
werden.
Nach Klärung der Stufenbezeichnungen, die sich zu einem Teil auf
den Abschirmblechen über den Baugruppen des HF-, ZF- und NF-
Teils fanden, die aber zu einem Teil nicht eindeutig waren, ergab
sich schließlich die im Blockschaltbild links dargestellte Anord-
nung des 15 Röhren Kurzwellenempfängers.
Besonders interessant waren die Messergebnisse am stufenlos-
regelbaren Quarzfilters, welches direkt hinter der Mischstufe in
den ZF-Zug des Empfängers eingesetzt ist. Durchlaßkurven - die
mit einem professionellen Spektrumanalyser (Rohde & Schwarz)
aufgenommen wurden, finden sich in der Pubklikation (Beispiel
siehe oben).
Sehr erstaunlich war das Ergebnis von Messungen zum Stabilitäts-
verhalten des »Kleinen Schwabenland«. Zu danken war das offen-
bar der außerordentlichen Qualität der Temperaturkompensation
der beiden freilaufenden Oszillatoren, des 1. Oszillators und des
variablen BFO. Bei einer Zwischenfrequenz von 2 MHz schwingt
er im Bereich III (12-24 MHz) immerhin zwischen 10 und 22
MHz, driftet 13 Minuten nach dem Einschalten nur noch um 150
Hz! Noch besser verhält sich der Überlagerer (2. Oszillator): Nach
weniger als 10 Minuten konnte keine Frequenzdrift mehr beob-
achtet werden.
Nach den in der Publikation im Detail dargestellten Untersuchun-
gen kann nach nunmehr ca. 70 Jahren davon ausgegangen werden,
dass die Funktionen des Empfängers aufgeklärt sind, obwohl die
originalen Konstruktionsunterlagen und das Pflichtenheft weiter-
hin verschollen bleiben.
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Der »Kleine Schwabenland«
Analyse eines ungewöhnlichen Empfängerkonzeptes
132 Seiten DIN A4 mit mehr als 103 zumeist farbigen
Abbildungen,
25 Schaltungen und vielen Tabellen
Der “Kleine Schwabenland”
Gerät im Gehäuse
Front- und Oberseite
Abschirmbleche entfernt
Geräterückseite
(click to enlarge)
Geräteoberseite
Spulenfach geöffnet
Abstimmskala
im Bereich 12 - 24 MHz
Vielfachinstrument
mit Schalter für Messung der
Röhrenemission
(click to enlarge)
Betriebsartenschalter
mit Stellungen für
A1, A2 und A3 (Tg/Tn)
Hellschreiben und
Bildtelegrafie
besonders
erwähnenswert:
frequenzmodulierte
Telegrafie und Telefonie
(Frequ. Tn/Tg)
automatische
Scharfabstimmung bei
Frequnzmodulation
mit breitem Fangbereich
Messlabor des Autors
Kl. Schwabenland
im Hintergruns
(click to enlarge)
Blockschaltbild
des
“Kleinen Schwabenland”
(click to enlarge)
Durchlasskurven
des Quarzfilters
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100 Watt-Kurzwellensender
“Posen I”
(Lorenz)
(click to enlarge)